- Physiknobelpreis 1951: John Douglas Cockcroft — Ernest Thomas Sinton Walton
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Der englische und der irische Physiker erhielten den Nobelpreis für ihre Pionierarbeit bei der Umwandlung von Atomkernen durch künstlich beschleunigte Teilchen.BiografienSir (seit 1948) John Douglas Cockcroft, * Todmorden (Yorkshire) 27. 5. 1897, ✝ Cambridge 18. 9. 1967; Studium der Mathematik in Manchester, 1928 Promotion bei Lord Rutherford, 1939-46 Professor für Naturphilosophie in Cambridge, Mitarbeit am Manhattan-Projekt und am Bau des ersten Schwerwasserreaktors, 1946-59 Direktor des britischen Atomforschungszentrums Harwell.Ernest Thomas Sinton Walton, * Dungarvan (Irland) 6. 10. 1903, ✝ Belfast 25. 6. 1995; Studium der Mathematik und Physik in Dublin, 1931 Promotion bei Lord Rutherford in Cambridge, 1946-74 Professor für natürliche und experimentelle Philosophie in Dublin.Würdigung der preisgekrönten LeistungIm Jahr 1932 führten John Douglas Cockcroft und Ernest Thomas Walton am Cavendish Laboratory in Cambridge die erste Kernreaktion mit künstlich beschleunigten Protonen durch. An eine Entladungsröhre hatten sie den von dem Schweizer Physiker Heinrich Greinacher entwickelten Gleichrichter-Spannungsverstärker geschaltet und zertrümmerten mit einer Spannung von 770 Kilovolt Lithium in zwei Alphateilchen. Für diese Leistung erhielten sie den Nobelpreis.Rutherford gab den AnstoßLord Rutherford (Nobelpreis für Chemie 1908) war es 1919 gelungen, einen Stickstoffkern durch Beschuss mit den Alphastrahlen aus natürlich radioaktiven Substanzen wie Radon und Polonium in Sauerstoff umzuwandeln. Was Alchemisten über Jahrhunderte versucht hatten, die so genannte Transmutation der Elemente, war Wirklichkeit geworden. Da Alphateilchen, also Heliumkerne, bestehend aus zwei Protonen und zwei Neutronen, die einzigen schweren Projektile sind, die von natürlich radioaktiven Elementen ausgesandt werden, blieben die ersten Arbeiten über künstliche Kernumwandlungen auf diesen von Rutherford entdeckten Typ der Kernreaktionen beschränkt. Die Energie dieser Teilchen ist verhältnismäßig gering; sie variiert zwischen 4 und 7 Megaelektronenvolt (MeV). 1929 berechnete George Gamow, ein in Odessa geborener Physiker, der mit Rutherford in Cambridge arbeitete, anhand der Theorie der Potenzialbarriere, die ein elektrisch geladenes Teilchen besitzt, dass Protonen sowohl wegen ihrer kleineren elektrischen Ladung als auch wegen ihrer kleineren Ausdehnung besser in den Kern eindringen können müssten als Alphateilchen.Gamows Berechnungen zeigten aber auch, dass Protonen, die durch eine elektrische Spannung von einer Million Volt beschleunigt werden, und sich mit einer Energie bewegen, die viel kleiner ist als die der Alphateilchen, messbare Umwandlungen leichter Elemente erwarten lassen. Sie sollten sogar dann in den Kern eindringen können, wenn ihre Beschleunigung nicht ausreichen sollte, die elektrische Abstoßung des Kerns zu überwinden. Da Protonen von radioaktiven Substanzen aber nicht ausgesandt werden, mussten sie künstlich erzeugt werden. Von Gamows Rechnungen inspiriert forderte Rutherford seine Schüler Cockcroft und Walton auf, eine Hochspannungsmaschine zu bauen, die Ströme von Protonen mit der erforderlichen Energie erzeugen sollte.Die Forscher schossen mit WasserstoffkernenDie beiden machten sich begeistert an die Arbeit. Cockcroft entschied, Wasserstoffkerne als Projektile zu verwenden, da sie aus nur einem Proton bestehen. Einige hunderttausend Volt sollten zur Beschleunigung genügen, bei leichten Elementen Transmutationen zu beobachten. Für ihre Versuche verwendeten Cockcroft und Walton eine Kathodenstrahlröhre, die sie mit verdünntem Wasserstoffgas füllten und unter eine hohe Spannung setzten. Bei dieser Versuchsanordnung reißt die hohe Spannung das Elektron aus der Atomhülle des Wasserstoffatoms. Die nackten, positiv geladenen Kerne sind nun Protonen. Sie fliegen zur durchlöcherten Kathode und verlassen die Röhre. Damals konnten an solche Rohre etwa 100 000 Volt Spannung angelegt werden. Das genügte aber nicht, um die Protonen für Kernversuche ausreichend zu beschleunigen.Nach einem Vorschlag von Wilhelm Wien (Nobelpreis 1911) teilten sie deshalb die Aufgaben der Erzeugung und der Beschleunigung der Protonen räumlich. Die in der einen Kammer erzeugten Protonen führten sie über einen schmalen Kanal in den Beschleunigungsraum, wo ein etwas niedrigerer Druck herrschte. Dies war notwendig, damit die beschleunigten Protonen mit möglichst wenig anderen Teilchen zusammenstießen. Im Erzeugungsraum muss er etwas höher sein, sonst wären nicht genügend Wasserstoffatome zur Bildung der Kanalstrahlen vorhanden gewesen.Lithium wurde zertrümmertDiese Anordnung war viel versprechend. Für die notwendige hohe Spannung nutzten sie das von Greinacher 1920 entwickelte System der Spannungsvervielfachung durch das Hintereinanderschalten (Kaskadenschaltung) von Gleichrichtern und Kondensatoren. So gerüstet, gelangen ihnen die ersten Atomumwandlungen mit künstlich beschleunigten Teilchen. Es stelle sich heraus, dass Spannungen von 600 000 Volt für erfolgreiche Versuche ausreichten. Als erstes beschossen sie mit ihren Protonen (p) eine dünne Schicht des an dritter Stelle im Periodensystem stehenden Lithiums. Die Lithiumkerne flogen auseinander. Sie zerplatzten über den Umweg Beryllium in je zwei Alphastrahlen bzw. Heliumkerne.Rutherford hatte Stickstoff mit Alphateilchen beschossen. Als Ergebnis erhielt er den schwereren Sauerstoff und ein abgestrahltes Proton. Von einer Kernzertrümmerung konnte also nicht gesprochen werden. Cockcroft und Walton gingen umgekehrt vor. Sie schossen mit Protonen und spalteten Atome. Es handelte es sich bei ihrem Versuch also um eine echte Atomkernzertrümmerung. Die beiden Forscher analysierten ihre Ergebnisse vor allem im Hinblick auf die von Einstein geforderte Äquivalenz von Masse und Energie. Sie fanden, dass beim Zerfall des Lithiums Energie frei wird, da die kinetische Energie der entstehenden Heliumkerne größer ist als die des ursprünglichen Kerns. Die Zunahme der Energie entsteht dadurch, dass die beiden Heliumkerne eine etwas geringere Masse besitzen als das Lithium und das Proton. Dieses Ergebnis stimmte mit Einsteins Voraussage überein.Der Erfolg ihrer Arbeit ermutigte Cockcroft und Walton dazu, viele weitere Atomkerne zu zertrümmern. Sie nutzten auch die Kerne des erst 1931 von dem US-amerikanischen Chemiker Harold Clayton Urey (Chemienobelpreis 1934) entdeckten schweren Wasserstoffs als Projektile. In ihren Versuchen fanden sie neue, bis dahin nicht bekannte Atomkerne. 1934 hatte das Ehepaar Irène Joliot-Curie und Jean Frédéric Joliot (Nobelpreis 1935) durch den Beschuss von Aluminiumatomen mit Alphateilchen das erste künstlich radioaktiv geschaffene Element, ein radioaktives Phosphorisotop, erzeugt. Cockcroft und Walton wiesen nach, dass solche Isotope auch durch den Beschuss mit Protonen hergestellt werden können.U. Schulte
Universal-Lexikon. 2012.